In den Waffenstillstands-Verhandlungen zwischen Israel und Jordanien vom Frühjahr 1949 auf der griechischen Insel Rhodos markierte ein grüner Buntstift auf einer Landkarte die Grenzlinie zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten - die „Green Line“. Einen weiteren Strich zogen die Unterhändler von Ägypten und Israel bei dieser Rhodos-Konferenz mit einem Lineal quer durch die Wüste und bestimmten so zwischen Rafah und Eilat die Grenze zwischen beiden Ländern: unsentimentales Diplomatenwerk am grünen Tisch. Aber was gelten solche Waffenstillstandslinien? Sind das Grenzen? Sie wurden wiederholt infrage gestellt. Aber gegenwärtig ist zumindest die Linie zwischen Ägypten und Israel unstrittig. Es herrscht ein vertraglich vereinbarter Frieden. Diese Grenze wird wechselseitig anerkannt. Trotzdem gab es jahrelange Debatten darüber, wie dick der Stift war, und ob ein kleines Gebiet südlich von Eilat zu Israel oder zum Sinai gehört: Rafi Nelson’s ‘Holiday Village’ in Taba.
Grenzen sind auch in der Tora ein Thema. In unserem Wochenabschitt berichtet ein kleiner Vers (Numeri Kap. 21:13) von bestehenden Fronten: "Denn der Arnon ist die Grenze zwischen Moab und den Emoriten...". Eine – wie man häufig sagt – natürliche Grenze: ein Fluß. Woanders ist es einTal, eine Hügelkette oder eine Küste. Heute fragen wir uns allerdings: Wo ist ‚Moab’ und wer sind ‚die Emoriten’? Der Kleinstaat Moab östlich des Toten Meeres ist schon lange untergegangen. Auch das Nomadenvolk der Emoriten [1] hat keinen Platz mehr auf der Landkarte. Und der Arnon verläuft heute im jordanischen Wadi Mujib.
Was ist eine Grenze? Wer entscheidet darüber, wo eine Grenze verläuft? Wie lange bleibt diese Entscheidung gültig? Darf man das ändern? Wer darf es ändern? Und wie? Wenn man bedenkt, wie viele Kriege schon geführt wurden, nur um eine Grenze festzulegen oder um einige Kilometer zu verschieben, dann sind das wahrlich keine unwichtigen Fragen. Im Nahen Osten von heute spielen Grenzen - Grenzverläufe eine lebenswichtige (oder lebensgefährliche) Rolle, eben weil so viele Menschen so viele unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wo sie verlaufen sollen und warum. Oder ob es überhaupt eine Grenze geben soll. Ob bestimmte Staaten oder Bezirke oder Regionen überhaupt als unabhängige und selbstständige Einheiten existieren dürfen, die sich durch klare und von allen (von allen?) anerkannte Grenzen vom Umland abgrenzen.
Ein Blick auf die Karte der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt wie einige seiner Bundesstaaten ‚verteilt’ statt ‚kolonisiert’ wurde: Sie sehen Lineal-Linien. Manche Linien dagegen erscheinen unvoreingenommenen Beobachtern natürliche Grenzen zu sein, und doch hat die Geschichte anderes zu berichten. Die Oder-Neiße-Grenze zu Polen zum Beispiel ist eine politisch gewollte Grenze – um des Friedens Willen. Gerade Deutschland hat wahrlich eine wechselvolle Geschichte der Grenzenlinien hinter sich: viele kleine und größere stets autonome Fürstentümer im Inneren und ständig wechselnde Grenzverläufe auch an den Außengrenzen des Landes. Die letzte innerdeutsche Grenze ist erst vor 20 Jahren beseitigt wurden, eine Grenze, an der einige Jahrzehnte lang Deutsche auf Deutsche geschossen haben.
Lassen wir diesen kleinen Vers also nicht unbeachtet liegen. Es war damals wichtig zu wissen und festzustellen, wo die Moabiten und wo die Emoriten herrschten; wo der Emoriter-König Sichon sein Revier hatte und wo Og, der Köng der Moabiter [2]. Ob auch unter den Emoriten Moabiter wohnten oder umgekehrt, ist uns nicht überliefert. Aber vermutlich war es so. Landesgrenzen sind vor allem solche zwischen Staaten, aber nicht immer welche zwischen den Völkern. Das ist etwas, was nicht nur Politiker und Nationalisten lernen müssen.