Eine Frage des Alters?

"Nasso"

(Nimm auf)
Numeri / 4. Buch Mose 4:21 - 7:89

Wann ist man alt genug? Erst ab 18 Jahren darf ein junger Mensch in Deutschland Zigaretten kaufen, legt das Jugendschutzgesetz fest. Ab 16 darf man in Österreich wählen, in Deutschland ab 18. Ab 25 kann man in manchen Ländern Bürgermeister werden. Bundespräsident geht nicht unter 35 in Österreich und nicht unter 40 in Deutschland.

Alter spielt eine Rolle, auch in der Tora. Für die Söhne Gerschons, Meraris und Kehats aus dem Stamm Levi beschreibt sie nicht nur die Aufgaben, sondern nennt auch eine Altersspanne: Von 30 bis 50 Jahre sollen sie gemustert werden, wer zum Dienst tüchtig sei und die Arbeit beim Stiftszelt verrichten könne.[1] Die Gerschoniten sollten allerlei Stoffe tragen, die zur Ausstattung des Stiftzeltes gehörten sowie das nötige Gerät dazu: Vorhänge, Umhänge, Decken und Teppiche; die Kinder Meraris waren u.a. für die Säulen und Füße, Nägel und Stricke nebst allen nötigen Geräts verantwortlich; die Kinder Kehats haben zwar keine explizite Verantwortung außer den Dienst beim Stiftszelt als solcher.

Dass ein Heiligtum auf der Wanderung durch die Wüste transportabel sein musste, ist klar. Und dass nicht jeder Hans und Franz damit beauftragt werden konnte, ist auch verständlich. Die Familien der Leviten trugen diese Bürde und hatten die Ehre. Aber warum durften sie nicht unter 30 sein und auch nicht über 50? Andere Israeliten wurden bereits ab 20 für Aufgaben und Verpflichtungen gemustert. [2].Wann ist man 'alt genug', um bestimmte Dienste anzutreten? Diese Frage ist nicht neu und tritt immer wieder auf. Wann ist ein Arzt soweit, eigenverantwortlich Diagnosen stellen und Patienten behandeln zu können? Ab wann kann ein Jurist Staatsanwalt oder Richter sein? In welchem Alter ist jemand in geistlichen Berufen reif genug, dass er Lehre und Ritualien sinnvoll und hilfreich mit den Herausforderungen des Jahreskreises und des Lebenszyklus und der jeweiligen Einschnitte verbinden kann? Ist Lebenserfahrung notwendig, um solche Jobs antreten zu können? Keine Frage: Ja. Man sollte intelligent sein und eine gründliche Ausbildung erhalten; muss auch aus eigenem Engagement lernen und sich ein breites Wissen erarbeiten. Allein die Ausbildungszeit bringt uns in die Nähe dieser 30 Jahre und oft sogar darüber hinaus. Ich persönlich bin mit 30 Jahren zum Rabbiner ordiniert worden. Mittlerweile bin ich längst über die 50 hinaus, doch ein Ende meines Dienstes scheint mir in weiter Ferne zu liegen. Rabbinerkollegen von mir haben das übliche Rentenalter längst erreicht und sind immer noch im Amt.

Aber es gibt nicht nur die „Alten“, die immer noch etwas leisten. Wir kennen auch die Illuim, die hochbegabten Kinder, die schon in ganz jungen Jahren Erstaunliches vollbringen. Das sind zum Beispiel Jungs im Alter von zehn Jahren, die den Talmud in all seinen Untiefen kennen und  ihn interpretieren können. Oder Mädchen im Grundschulalter, die in Mathematik Höhen erreicht haben, die andere selbst für das Abitur nicht zu erklimmen vermögen. Oder musikalische Wunderkinder, die genial die Violine spielen können. Wir wissen heute, dass solche Frühstarter gefördert werden müssen und dass Großes aus ihnen werden kann. Aber verstehen sie schon, was sie lesen, rechnen, auf ihren Instrumenten spielen? Wie passt das in ihr Leben? Sie bleiben doch Kinder oder Jugendliche. In welchem Verhältnis steht ihre Kunst oder ihre Fertigkeit zu ihrer Lebenserfahrung, und inwieweit gibt sie ihr Gefühlsleben wieder? Ist es ein Ausdruck einer Persönlichkeit oder „nur“ von Virtuosität? Deutlicher wird das am Beispiel eines Arztes. Die meisten von uns werden einen Arzt vorziehen, der nach seinem Studium erst mal ein paar Jahre Erfahrung gesammelt hat, bevor er seine eigene Praxis eröffnet. Bei ihm fühlen wir uns in besseren Händen. Er hat sich bewährt. Man vertraut ihm.

Aber man kann eben auch „zu alt“ sein. Bei den Leviten bzw. den Gerschoniten ist das klar. Sie mussten harte körperliche Arbeit leisten. Auch die Fünfzigjährigen von heute werden sich dabei schwertun, einen Teppich durch die Wüste zu tragen. Es gab damals keine Lasttiere. Nur Männer in Sandalen. Mit ihrer Muskelkraft mussten sie das Heiligtum aufbauen und abbauen - alles nach Vorschrift. Und dann mussten sie es bis zum nächsten Lagerplatz schleppen und wieder errichten. Sie hatten Verantwortung so wie die Mitarbeiter in einem Kraftwerk. Es reicht nicht, wenn nur das Kontrollpersonal seine Arbeit richtig macht. Jeder muss es - die Elektriker, die Klempner und auch die Mauerer müssen aufmerksam sein. Sonst könnten die Konsequenzen katastrophal sein. Deshalb sind die gewöhnlichen Leviten genau so wichtig wie ihre aristokratischen Brüder, die Nachfahren Aarons, die Cohanim. Als Priester am Altar mussten sie sich auf die Gerschons, Meraris und Kehats verlassen können. Vielleicht galten deren „junge Hüpfer“ (die unter 30) noch nicht als verlässlich genug, während die Senioren (alle über 50) für diese Arbeit nicht mehr verlässlich genug waren. Wir wissen es nicht.

Was aber haben zum Beispiel die Gerschoniten vor der Übernahme ihres Amtes getan? Erhielten sie eine Ausbildung? Man kann schließlich nicht einfach herumsitzen bis man 30 ist - auch wenn viele Eltern behaupten, die Jugend von heute mache genau das!! Und so ganz jung waren sie damals mit 30 auch nicht mehr. Und: Bekamen sie am Ende ihrer Dienstzeit eine Rente, irgendeinen Lebensunterhalt? Unser Text sagt nichts darüber. Wahrscheinlich wurden sie durch die Gaben an das Stiftszelt und später, den Tempel unterstützt und ernährt. Dann war es ein wohlverdienter Ruhestand. 20 Jahre Dienstzeit scheinen uns nicht lang zu sein. Aber damals starben die meisten viel jünger als in unseren Tagen. Und mit 50 waren sie wahrscheinlich sogar schon ziemlich alt und mussten vielleicht auch deshalb Jüngeren Platz machen.

Also: Unter den verschiedenen Gruppen der Leviten hatte jeder seinen Platz, jeder hatte seine Aufgabe, jeder hatte seinen Dienstplan, und sie durften weder zu jung noch zu alt sein. Wir haben heute etwas mehr Spielraum. Manches betrachten wir auch anders. Wir diskutieren über Altersgrenzen und sogar über Diskriminierungen wegen des Alters. Manche meinen, Sechzehnjährige sollten schon wählen können, andere kritisieren, dass es heimliche Altersgrenzen gäbe, die zum Beispiel Frauen nach der Erziehungszeit den Wiedereinstieg ins Berufsleben erschwerten. Aber im Prinzip arbeiten wir immer noch nach diesem Konzept, wenn wir - in diesen Zeiten - überhaupt Arbeit haben!

[1] Bemidbar/Numeri (4. Buch Mose) Die Kinder Gerschons - 4:23; die Kinder Meraris - 4:29; die Kinder Kehats – 4:34      [2] Schemot/Exodus (2. Buch Mose) 30:14