Den König im Lande Mizraijm [1] plagen Alpträume. Zwei hat der Pharao in einer Nacht: Im ersten steigen sieben kräftige und gesunde Kühe aus dem Nil und weiden auf den Wiesen. Doch sie werden von sieben anderen schwachen und mageren Kühen, die nach ihnen ebenfalls aus dem Fluss steigen, gefressen. Doch die wurden davon nicht kräftig und stark. Der zweite Traum beginnt damit, dass auf einem Getreidehalm sieben reich tragende Ähren wachsen. Aber sie werden von sieben dürren, vom Ostwind ausgedörrten Ähren verschlungen, die nach ihnen wachsen. Doch diese Ähren werden davon nicht prall.[2] In beiden Fällen fängt es gut an, aber es endet so nicht. Zweimal Sieben – und das gleich zweimal! Der Pharao ist beunruhigt und sucht nach einer Erklärung.
Träume haben etwas zu sagen. Psychologie und Psychoanalyse haben für unsere Zeit gelehrt, dass sie aus unserem Inneren sprechen, dass sie Lebenserfahrungen verarbeiten: intensive Erlebnisse, unsere Sorgen, das, worauf wir hoffen und wovor wir uns fürchten. Für uns sind Träume Ausdruck unserer persönlichen Vergangenheitsbewältigung - als einer Voraussetzung, um unsere Zukunft zu meistern. Die Menschen des Altertums dagegen verstanden die Geschichten, die sie im Schlaf überraschten, als Botschaften von Außen – als Werke höherer Mächte. Oder wie Josef in unserem Wochenabschnitt zitiert wird: „Gott wird offenbaren, was ihm frommt"[3]. Träume warnten und offenbarten. Sie öffneten einen Blick in die Zukunft.
Josef, so wird uns schon vorher berichtet, ist jemand, der nicht nur die Träume seiner Mitmenschen zu erklären vermag, sondern der selbst solche Träume hat.[4] Seine Brüder ziehen aus einem seiner Träume Konsequenzen und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Sein Traum beginnt hier wirklich zu werden. Am Ende werden sich die Brüder, wie geträumt, vor ihm, Josef, dem 'Zafenat-Paneach'[5], verneigen.
Josef hatte die beiden Bilder von Pharaos Traum als zwei sieben Jahre währende Perioden gedeutet: eine erste mit satten Weiden und Ernteüberschüssen und eine zweite mit dürren Ernten und Hungersnöten. Und er hatte einen Vorschlag gemacht, wie diese Zeit zu bewältigen ist: Man solle einen klugen Mann an die Spitze des Staates stellen, der eine strategische Vorratsplanung betreibt. Der Mann an der Spitze wurde er – Josef der Träumer[6]. In den üppigen sieben Jahren ließ er Vorräte anlegen, in den folgenden dürren Jahren konnte das Volk Lebensmittel aus den Speichern erwerben - unter Aufbringung ihres Ersparten, dann durch Verkauf von Land und Besitz an den Pharao und schließlich durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft.[7]Für uns wird es interessant, wo die beiden Träume, der Traum Josefs und die beiden des Pharaos, sich zu einem Strang vereinen: In der ganzen damals bekannten Welt herrscht Hungersnot - auch im Land Kenaan. Die Kunde, dass es in Ägypten – trotz der Dürre – noch etwas zu kaufen gibt, lässt auch die Söhne Ja’akows[8] auf die Esel steigen und mit einer Karawane nach Ägypten ziehen. Und dort dann nimmt eine größere Geschichte ihren Anfang, aber es ist nicht die einzige. Unsere Parascha wirft viele Fragen auf:
Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern ist ein großes Drama um Neid, Hass, Intrigen, Mordplänen, Visionen, Überleben, neuen Identitäten, Karriere, Gründung einer eigenen Familie, Wiederentdeckung, Wiedersehen, Versöhnung und Rettung. Aber das Szenario spielt sich vor dem Hintergrund einer gewaltigen Katastrophe ab, einem Alptraum: Welthunger. Das darf man nicht vergessen.
[1] hebr. für Ägypten [2] vgl.
Bereschit/Genesis 41:1-7 [3] Bereschit/Genesis 41:16 [4] vgl.
Bereschit/Genesis 37:5ff. und 40:5ff. [5] wahrscheinlich altägyptisch für „Gott spricht, er möge
leben“. [6] Bereschit/Genesis 37:19 [7]
Bereschit/Genesis 47:13-26 [8] Jakob [9] vgl. Schemot/Exodus 7:1 – 12:51 [10] vgl. Bereschit/Genesis
41:54
[11] vgl. Bereschit/Genesis 47:20-26 [12] vgl. Bereschit/Gen. 37:6 ff.