Erbstreitigkeiten

"Wajeschew"

(ließ sich nieder)
Genesis / 1. Buch Mose 37:1 - 40:23

Keine Frage, 'Familie' an sich ist bereits eine Herausforderung. Doch wir sind dafür bestimmt, und die meisten von uns möchten auch nicht darauf verzichten. Je komplizierter die Familienbande allerdings geflochten sind, desto wahrscheinlicher ist, dass die Beziehungen nicht nur von Freundschaft geprägt sind. Jaakow [1] scheint es besonders hart getroffen zu haben: In seiner Familie sind Betrug und Intrigen ständige Begleiter. Schauen wir uns die Vorgeschichte zu dieser Parascha an:

Mit gezinkten Karten

Jaakows erste Ehe wird mit seiner Cousine Lea  geschlossen. Er scheint eher versehentlich hineingeraten zu sein, berichtet uns noch der Wochenabschnitt Wajeze [2]. Jaakow glaubt offenbar, dass ihn Rachel – Leas Schwester – ins Hochzeitszelt begleiten wird. Doch er hat seine Rechnung ohne Laban, seinen Schwiegervater und Onkel gemacht. Der will zuerst Lea, die Ältere von zwei Schwestern, unter die Haube bringen. So will es die Tradition, und das ist eine Ehrensache. Ein Betrug an seinem Neffen zu diesem Zweck scheint Laban deshalb ein vertretbares Mittel. Und Jaakow? Macht der aus diplomatischen Gründen gute Miene zum bösen Spiel? Oder war die Nacht zu dunkel und das Festmahl zu schwer, um zu merken, dass ihm die Falsche zugeführt worden war?

Rachel, seine große Liebe, darf Jaakow wenig später dann auch noch heiraten. Aber der Preis dafür ist hoch: Weitere sieben Jahre ist er an Laban gebunden und muss ihm dienen. Und Rachel, welche Rolle spielt sie? Ist sie eingeweiht in diese Possen? Auch Jaakow selbst ist kein Unschuldslamm. Seinen eigenen Vater, Yitzchak, hat er getäuscht, und seinen Zwillingsbruder Esau übervorteilt.[3] Und Laban versucht er später hereinzulegen, um sich mit seinen Leuten heimlich aus dem Staub zu machen. Jaakow hat also Erfahrung im Betrügen. Und Schimon und Levi, zwei andere Söhne Jaakows, bringen ihren Clan sogar in Gefahr. Sie hintertreiben das Bemühen ihres Vaters, in Frieden mit den einheimischen Kanaaniniten und Perisiten zu leben und verüben ein Massaker in Schechem[4] Das zwingt die Familie zur Flucht. Ja, und dann wird Jaakow auch noch von seiner geliebten Rachel im Stich gelassen – wenn auch nicht böswillig, sondern unter den Schmerzen der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin. Sie stirbt in dem Moment in dem er sie dringend braucht. Er bleibt zurück mit zwölf Söhnen und drei anderen Frauen.[5]

Signal und Wirkung

Und nun? Wo steht Jaakow jetzt? Geld und Besitz machen ihm keine Sorgen. Aber das Familienleben ist deutlich schwieriger geworden. Jaakow ist jetzt eine Art alleinerziehender Vater von zwölf Söhnen – er ist Chef einer großen Familie. Seine Söhne wurden ihm von vier Frauen geboren. Das ist damals nichts Besonderes, aber Rivalinnen sind sie trotzdem. Er vertraut nur Rachel, aber sie kann ihm nicht mehr zur Seite stehen. Nun macht er Fehler. Er bevorzugt seinen jüngsten Sohn: Josef, geboren von Rachel.

Es ist immer falsch, ein Kind dem anderen gegenüber unangemessen zu bevorzugen. Bis in unsere Zeit hinein jedoch hat der Erstgeborene einen besonderen Status. Hätte Reuwen[6] die Privilegien eines Erstgeborenen, wäre das für keinen der Zwölf ein Problem gewesen – das war normal. Als der seinen Rang verlor[7] erhält aber nicht statt dessen der Nächstgeborene, der Sohn von Lea, ein symbolträchtiges Kleidungsstück, sondern der letzte erstgeborene Sohn, der Sohn Rachels (z.l.). Das ist zwar noch keine Entscheidung für die Erbfolge, aber ein unmissverständliches Signal und damit ein Auslöser für böses Blut.

Jaakow hat Pläne und Sorgen. Er will den Bund mit Gott an einen würdigen Nachfolger der nächsten Generation vererben. Seine Wahl fällt auf Josef. Er ist sein Lieblingssohn „weil er ihm im hohen Alter geboren war“[8] Josef selbst hat bis dahin nichts Erkennbares geleistet, um dieses Erbes würdig zu sein. Jaakow plagt außerdem die Furcht, er könnte die Söhne Rachels verlieren. Dieser 'Albtraum' scheint auch Wirklichkeit zu werden: Zuerst schickt er Josef – wissend oder unwissend, was passieren könnte? – zu seinen Brüdern, und der verschwindet unter ihrer Obhut. Die Brüder kommen mit blutfbefleckten Kleidern und einer erfundenen Geschichte nach Hause. Und dann hätte er fast auch noch Benjamin verloren: Gegen seinen Willen muss der Junge nach Ägypten fahren[9] Was wäre geworden, wenn auch er verloren geblieben wäre?

Vom Bund mit den Erzvätern zum Bund mit Israel

Das Familiendrama des Buches Bereschit [10] gibt Rätsel auf. Gottes Bund mit Awraham kann zur Zeit der Erzväter – wir wissen nicht warum – jeweils nur ein Vertreter einer Generation erben. Allerdings besteht sein Segen zum Teil darin, dass er viele Nachkommen verheißt![11] Ohne dieses Versprechen hätte der Konkurrenzkampf zwischen Jitzhak und Ischmael[12] (genauer: zwischen ihren Müttern Sara und Hagar) wenig Sinn gehabt. Beide wären legitime Erben des Bundes geworden! Und auch die Betrugsaffäre zwischen Esau und Jaakow (mit Hilfe von Riwka[13]) wäre unnötig gewesen – beide Zwillinge hätten den Bund geerbt und hätten ihn weiter geben können. Der ganze Stress zwischen den Söhnen Jaakows wäre nicht eskaliert – es wären normale Zwistigkeiten unter Brüdern geblieben. Jaakow mit seinen zwölf Söhnen hätte den Bund in zwölf Richtungen gleichzeitig verbreitet. Es wäre nebensächlich gewesen, ob Menasche[14] oder Ephraim[15] den besonderen Segen des Grossvaters erhalten hätten.

Das Rätsel bleibt ungelöst. Die Intrigen um den Erzväter-Bund und seine Erben werden substanzlos. Sie versanden an den Ufern des Nils in der Nähe der Getreidesilos des Pharao. Josef wird diesen Bund weder erben noch vererben. Schon das Versprechen wird eine Generation überspringen: Der Sohn Josefs – und dann auch noch der zweite, nicht der erste, Ephraim – wird den Segen seines Grossvaters erhalten.[16] Doch dann verschwindet dieser Bund ganz in der Geschichte! Wie später die Bundeslade. Es war einmal! Es war sogar einmal wichtig!

Lebendig bleibt allein die Erinnerung. Sie wird über Generationen hinweg wach gehalten. Vielleicht ist es so besser. Denn die neue Geschichte, die später in Ägypten ihren Anfang nimmt, ist nicht mehr bloß die der Familie Jaakows, sondern die der Familie Jisraels. Jaakows zweiter Name 'Jisrael'[17] prägt nun den Namen aller Stämme der Hebräer. Die mörderische Konkurrenz der Familien und Clans um die Frage, wer den Bund mit Gott erben darf, ist überholt. Am Sinai werden wir ALLE Teil eines Bundes. Ohne wenn und aber. Aber das ist ein neues Thema.

[1] Auch 'Jaacov’, 'Jaakob' oder 'Jakob'   [2] Genesis 29:23ff.   [3] auch: Isaak  
[4] Genesis 34:25ff.   [5] Genesis 35:22ff.: Die beiden Mägde von Lea und Rachel gelten als 'Kebsweiber', Nebenfrauen, die zwar zur Familie gehören, aber mit einem untergeordneten Rang.    [6] Auch 'Ruben'   [7] Genesis 49:3f.   [8] Genesis 37:3   [9] Genesis 42:4ff.  
[10] auch: 'Genesis' oder '1. Buch Mose'   [11] Genesis 17:7ff.   [12] auch 'Ismael'   [13] auch 'Rebekka' oder 'Rebecca'  [14] auch 'Manasche' oder 'Manasse'   [15] Genesis 48:17ff.  
[16] Genesis 48:14   [17] Hebräisch für 'Gott streitet' oder 'Gott herrscht'